BILDUNG FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG IN BAYERN
Das Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wird in diesem Beitrag als das übergeordnete Anliegen aller bayerischen Umweltstationen und Umweltbildungseinrichtungen vorausgesetzt. Näher betrachtet werden hier die in der außerschulischen Umweltbildungspraxis insbesondere in Ferienfreizeiten für Kinder und Jugendliche oft gelebten Ansätze der Naturpädagogik und der Erlebnispädagogik, um deren spezifischen Beiträge zur Bildung für nachhaltige Entwicklung zu verdeutlichen.
Die Naturpädagogik versteht sich als pädagogische Antwort auf die seit den 60- er Jahren zunehmende Verstädterung, die zunehmende Technisierung und Digitalisierung der Alltagswelten, den Verlust an nahen und frei zugänglichen Naturerfahrungsräumen für Kinder und die damit verbundene wahrgenommene Entfremdung der Menschen von der Natur.
Zu den Hauptanliegen der Naturpädagogik gehören:
Die Bedeutung von elementaren Naturerfahrungen in der Kindheit für eine gesunde physische und psychische Entwicklung von Kindern ist durch verschiedene Studien belegt (1). Ebenso nachgewiesen ist der Zusammenhang zwischen einer positiv gefärbten Beziehung zur natürlichen Mitwelt und der intrinsischen Motivation, sich für den Erhalt lebendiger Vielfalt zu engagieren (2). Fehlende Naturerfahrung kann zum Verlust von Bodenhaftung und Realitätssinn führen. Wenn wir Menschen uns zu sehr von der Natur entfremden, mit der wir existentiell verbunden sind, verlieren wir den Blick für ökologische Gesamtzusammenhänge, was zu gefährlichen Fehleinschätzungen menschlicher und technischer Möglichkeiten der Naturbeherrschung führen kann.
Ein wesentlicher Beitrag der Naturpädagogik zur BNE erscheint daher die Förderung von bewusstem Naturerleben. Das intensive Erleben natürlicher Kreislaufprozesse fördert das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit des Daseins und ermöglicht die Erfahrung von Ganzheit und Verbundenheit mit allem Lebendigen. Im bewussten Naturerleben allein und zusammen mit anderen werden Beziehungsfähigkeit, Empathie und Motivation zum Handeln gestärkt. Im Kontakt mit dem Schönen der Natur kann die Kreativität gefördert werden. Natur erforschen und Lebensräume kennen lernen regt das Staunen über die Vielfalt von Lebensformen an, fördert den Blick für Zusammenhänge und legt die Basis für ein achtsameres Verhalten im Alltag.
Die Erlebnispädagogik hat ihre Wurzeln in der Reformpädagogik und versteht sich als erlebens- und handlungsorientierter pädagogischer Ansatz, der die Elemente "Person", "Gruppe“ und "natursportliche Herausforderung“ sowie "Reflexion“ verbindet, um Lernprozesse zu fördern und Kompetenzen zu erweitern mit dem Ziel die Lebenswelt verantwortlich mitgestalten zu können.
Aufbauend auf den Erziehungsprinzipien "Natur", "Gemeinschaft", "Echtheit", "Einfachheit" und "Lernen durch Erfahrung" der Wandervogelbewegung entwickelte Kurt Hahn in den 20er Jahren für Jugendliche das Konzept der „Erlebnistherapie“ mit den Elementen "körperliches Training", "Expedition", "Projekt" und "Dienst am Nächsten" (3).
Wenngleich die moderne Erlebnispädagogik heute auch in Teamtrainings für Erwachsene eingesetzt wird, gilt sie doch in erster Linie als Pädagogik des Jugendalters und fokussiert ihre Lernziele vorwiegend auf die Stärkung der Persönlichkeitsentwicklung und der sozialen Kompetenzen (4).
Als wichtige Merkmale von Erlebnispädagogik sind zu nennen:
Erlebnispädagogik leistet in folgenden Bereichen einen wertvollen Beitrag zur BNE:
Naturpädagogische und erlebnispädagogische Ansätze lassen sich hervorragend kombinieren (siehe zum Bsp. 5 und 6) und finden insbesondere im außerschulischen Bereich im Rahmen von Ferienfreizeiten hervorragende Einsatzmöglichkeiten im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung. (7)
Es ist klar, dass weder Naturpädagogik noch Erlebnispädagogik an sich die Ansprüche der BNE erfüllen. Verbunden jedoch mit relevanten Themen und Zielsetzungen nachhaltiger Entwicklung können Sie sehr wirksam dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche ihre Kompetenzen im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung erweitern.
So können Naturerlebnisfreizeiten, wie sie viele Umweltbildungseinrichtungen in den Ferien anbieten, vielfältige Schlüsselkompetenzen im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung fördern. Beim einfachen Leben in und mit der Natur während einer Naturerlebnisfreizeit, die bewusst im Sinne der BNE gestaltet wird, geht es maßgeblich um das Experimentieren mit zukunftsfähigen Lebensstilen und das Reflektieren unserer Alltagsgewohnheiten in der Befriedigung unserer (Grund-)bedürfnisse. Die Kindern können zusammen mit dem Betreuungsteam konkret erproben, den Alltag möglichst ressourcenschonend und vorsorgend zu gestalten, mit einem stets bewussten Blick auf ökologische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Faktoren unserer Konsumentscheidungen rund um Ernährung, Energienutzung, Mobilität, Kleidung, Wohnen und Freizeitgestaltung. Es bietet sich an, den Blick über den Tellerrand in andere Länder und Kulturen zu öffnen und ein Bewusstsein zu schaffen für die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in der einen Welt. Anknüpfungspunkte gibt es viele, ob es um den Umgang mit Wasser, das Kochen mit Holz und Sonnenenergie, um Techniken im Bau einer Komposttoilette oder eines Floßes oder um Kinderspiele in aller Welt geht. Hier werden spielerisch erforschend im gemeinsamen Tun eine Vielfalt von Erkenntnissen interdisziplinär gewonnen.
Zum Beispiel lernen Kinder vorausschauend zu denken und zu handeln, wenn sie als Kleingruppe die Verantwortung für die Versorgung der gesamten Gruppe mit Wasser und mit Lebensmitteln übernehmen, die möglichst frisch aus der Umgebung aus ökologischem Anbau oder aus fairem Handel kommen sollen. Wenn sie dabei lernen, einen Erdofen wie in Neuguinea zu bauen oder das Wasser wie viele Menschen in ariden Gegenden über weite Entfernungen zu transportieren und genau zu rationieren, bauen sie dabei weltoffen und Perspektiven integrierend neues Wissen auf.
Kinder und Jugendliche zu ermutigen, an Entscheidungsprozessen partizipieren zu können und selbstständig zu planen und zu handeln sind zentrale Anliegen einer Naturerlebnisfreizeit.
Der tägliche Lagerrat bietet das Zentrum einer lebendigen Gemeinschaft, in der sowohl die Gruppenregeln wie auch das Programm gemeinsam besprochen und entschieden werden.
Die Empathie und Solidarität mit Benachteiligten und die Reflektion eigener Werte und Leitbilder sowie die Anderer stehen beim gemeinsamen einfachen Leben in und mit der Natur im Mittelpunkt vieler Gespräche, die sich im täglichen Tun und im Lagerrat ergeben.
Kinder und Jugendliche, die sich in der Welt gut getragen fühlen und auf positive Erlebnisse in und mit der Natur aufbauen können, können sich erfahrungsgemäß leichter motivieren, aktiv zu werden. Um Natur in ihrer Vielfalt und Schönheit schätzen und lieben zu lernen und sich für ihren Schutz einzusetzen, brauchen Kinder und Jugendliche wie in allem, was sie lernen (sollen) natürlich überzeugende erwachsene Vorbilder, die sie begeistern können. Dann ist es auch naheliegend, dass sie irgendwann ihre eigene Liebe zum Lebendigen und ihre eigene Begeisterung an andere weitergeben können und diese wiederum motivieren können, aktiv zu werden.
Entscheidend ist daher, dass sich die erwachsenen BegleiterInnen der Kinder und Jugendlichen bewusst sind, welche Bedeutung und Verantwortung sie als handelnde Vorbilder haben. Handeln wirft in jedem Augenblick die Frage der Ethik auf, der eigenen Werte und Leitbilder. Wichtiger als jede eingesetzte Methode erscheint primär eine liebende Grundhaltung zum allem Lebendigen und das Bemühen in jedem Augenblick bewusst, wertschätzend und achtsam mit allem umzugehen. Dass eine verantwortungsbewusste, achtsame Lebensgestaltung eminent politische Wirkungen hat, betont auch die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt" (8).
Wie bereits erwähnt, sind naturpädagogische und erlebnispädagogische Ansätze an sich noch keine Bildung für nachhaltige Entwicklung. Es ist wichtig zu erkennen, wo sie Gefahr laufen zwischen Mode und Methode zu verkommen, weil sie unreflektiert in Freizeitspaßangeboten eingesetzt werden, die doch wieder nur eine unverantwortliche Konsumhaltung von "immer mehr", "immer höher", "immer schneller", immer "individuell cooler“ bedienen.
Entscheidend ist daher das Gesamtkonzept der Anbieter unter die Lupe zu nehmen und insbesondere die Grundhaltungen der Organisation und der Leitungspersonen zu erspüren.
Folgende Fragen können bei der Bewertung helfen:
Naturpädagogik und Erlebnispädagogik können grundlegend wertvolle und sehr wirksame Beiträge zur Bildung für nachhaltige Entwicklung mit Kindern und Jugendlichen leisten, wenn sie gezielt in BNE-Konzepte eingebunden werden. Im Rahmen von Ferienfreizeiten sind die Chancen zu nachhaltigen Lernerfahrungen durch den Faktor Zeit besonders hoch. Wichtige Kriterien sind neben der vorbildlichen Gestaltung der Rahmenbedingungen die gezielte Förderung von Schlüsselkompetenzen im Sinne der BNE mit der Erfahrung konkreter Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Herausforderungen, der Dialog über Werte und Einstellungen sowie die geleitete Reflexion des Erlebten, mit dem Ziel den eigenen Alltag verantwortungsbewusster zu gestalten. Entscheidender als die eingesetzten Methoden sind daher die ethischen Grundhaltungen, Einstellungen und Leitziele der PädagogInnen, die sich in ihrem eigenen Tun und Lassen widerspiegeln. Diese sollten im Konzept erkennbar sein und in Schulungen vermittelt werden. Denn wirksamer als jedes Wort sind für Kinder und Jugendliche überzeugende und motivierende Vorbilder, die ihnen konkret vorleben, was nachhaltige Lebenskunst in der Praxis sein kann und sie zugleich durch wertschätzendes „in Beziehung sein“ in ihren persönlichen Kompetenzen bestärken und ihnen Mut machen, sich in die Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft aktiv, kreativ und verantwortungsbewusst einzumischen.